© Manuela Mielke
Chinchillas gelten unter vielen Haltern als ausgesprochen stressanfällige Tiere, die man, so scheint es, am besten in Watte packen und von allem fernhalten sollte.
Doch wie stressempfindlich sind Chinchillas wirklich? Ist jede Erfahrung jenseits der alltäglichen Lebensroutine ein potentieller Stressfaktor oder entspringt diese Definition von Stress der Unwissenheit und Unsicherheit der Halter?
Die Vorstellung vom gläsernen Nagetier, das bei der kleinsten Berührung zu zerbrechen droht, führt teilweise im Extremen dazu, dass kranke Tiere nicht dem Tierarzt vorgestellt werden, in der Sorge, die Autofahrt, das Verweilen in der Box und der Tierarztbesuch an sich mit all den fremden Eindrücken könnten das Tier so sehr in Stress versetzen, dass der Besuch in der Praxis letztlich kontraproduktiv sei.
Um dieser weit verbreiteten Annahme einmal auf den Grund zu gehen, sollte man sich zunächst fragen, was Stress überhaupt ist.
Stress, so definiert es der Brockhaus, ist eine über das normale Maß hinausgehende körperliche und/oder psychische Belastung des Organismus durch bestimmte Reize, sogenannte Stressoren.
Neben physischen Stressfaktoren wie Infektionen und Operationen, so Brockhaus weiter, kommen auch psychische Belastungen wie Angst und Ärger in Frage.
Steht ein Tier unter Stress, so kommt es wie beim Menschen zu Anpassungsreaktionen des Körpers, die, so die Stressfaktoren dauerhaft auf den Organismus einwirken, zu Folgeerkrankungen führen.
Welche Faktoren können nun beim Chinchilla Stress auslösen?
Chinchillas sind nachtaktive Tiere und haben einen sensiblen Biorhythmus. Wer nachts fit ist und durch den Käfig oder im Freilauf tobt, muss tagsüber im Schlaf Energie schöpfen können.
Wer seine Tiere tagsüber stört, weckt oder beschäftigt, stört diesen natürlichen Rhythmus ganz empfindlich.
Neben absichtlichem Wecken sollte man auch daran denken, dass laute Geräusche wie das Staubsaugen in unmittelbarer Umgebung oder das Hochregulieren der Radiolautstärke ebensolche Störfaktoren sind. Normale Alltagsgeräusche sind dagegen weniger problematisch, und werden - so die Tiere daran gewöhnt sind - verschlafen.
Neben ungewohnten Geräuschen können auch eine ungewohnte Umgebung und fremde Menschen problematisch sein. Chinchillas sind weder reisefreudig, noch laufen sie auf fremde Menschen zu, um diese zu begrüßen.
Unnötige Standort- und häufige Käfigwechsel sind daher ebenso vermeidbare Stressfaktoren wie das Vorführen im Freundeskreis.
Sicherlich können Chinchillas mit an den Urlaubsort verreisen und dort zeitweise im kleinen Urlaubskäfig leben. Sinnvoller ist es jedoch, die Versorgung der Tiere in einem solchen Fall einer Vertrauensperson zu überlassen.
Das eigene Heim ist immer noch die beste Unterbringung - zumindest unter der Voraussetzung, dass es sich an einem geeigneten Standort befindet.
Geeignet ist der Standort dann, wenn er den Tieren tagsüber einen ungestörten Schlaf gewährleistet und die Raumtemperatur gemäßigt bis kühl ist.
Daneben darf es weder feucht noch stickig sein, auch Zugluft sollte vermieden werden.
All diese Dinge sind, und das gilt vor allem für warme Temperaturen bereits bei ca. 25°C, erstzunehmende Stressfaktoren.
Die Unterbringung der Tiere sollte darüber hinaus auch nicht zusammen mit artfremden Tieren erfolgen.
Kaninchen sind ebenso wenig geeignete Lebenspartner wie Degus oder andere Nager.
Wer sein Zuhause außer mit Chinchillas noch mit freilaufenden Tieren wie Hunden oder Katzen teilt, muss sicherstellen, dass diese keinen freien Zugang zu den Chinchillakäfigen haben.
Hunde und Katzen sind Jäger und das Chinchilla stellt eine potentielle Beute dar. Auch der sanfteste Stubentiger und der gehorsamste Hund können ihre Erziehung schnell vergessen, sobald sich die Beute bewegt und damit den Jagdtrieb auslöst.
Wenn Chinchillas überhaupt mit artfremden Tieren zusammengebracht werden dürfen, dann nur unter ständiger Aufsicht.
Sicherer ist es, auf artfremde Kontakte gänzlich zu verzichten.
Wer den persönlichen Kontakt zu seinem Tier sucht, wird schnell merken, dass sich Chinchillas keine Berührungen und Streicheleinheiten aufzwingen lassen.
Das gilt nicht nur für vom Tier unerwünschtes Festhalten, sondern auch für Berührungen, denen es sich entzieht.
Besser ist es, dem Chinchilla Körperkontakt anzubieten und das Tier entscheiden zu lassen, ob es diesen annehmen möchte. So kann es Stück für Stück Vertrauen zum Halter aufbauen und lernt, dass Streicheleinheiten keine Gefahrenmomente darstellen, in denen es sich auf Flucht einstellen muss.
Als Fluchttiere können Chinchillas schnell in Panik geraten, wenn sie zur Fixation ungelenk von beiden Händen ihres Halters umklammert werden. Je größer das Unvermögen des Halters, sein Tier sachgemäß zu fixieren, desto größer die Panik und somit der unmittelbare Stress.
Die korrekte Fixation zu üben ist dabei nicht nur für den Tierarztbesuch unerlässlich, sondern auch, um sich selbst ein Bild über den Gesundheitszustand seines Tieres machen und eventuell Medikamente eingeben zu können.
Gut fixiert und somit sicher gehalten ist ein Chinchilla dann, wenn es sich sitzend auf einer Handfläche befindet, wobei Daumen und Zeigefinger derselben Hand die Schwanzwurzel (!) fest umschließen. Die andere Hand stützt den Brustkorb des Tieres.
Ein so fixiertes Chinchilla kann eine tierärztliche Behandlung ohne größeren Stress überstehen, sofern nicht der aufgeregte Halter sein Tier unbewusst aufwühlt.
In einem solchen Fall sollte es einem kundigen Helfer überlassen werden, das Tier zu halten.
Die richtige Fixation und das vertrauensvolle Stillhalten sollten jedoch von Anfang an langsam und ohne Zwang eingeübt werden.
Auch der Tierarztbesuch an sich kann eingeübt werden.
Lernt das Tier den Arzt erst im akuten Krankheitszustand kennen, wo es ohnehin unter physischem und psychischem Stress steht, wird die unbekannte Praxissituation diesen Zustand unter Umständen zusätzlich verschlimmern.
Ein Tier, das dem Arzt in gewissen regelmäßigen Abständen zu Kontrolluntersuchungen vorgestellt wird und dort die Erfahrung machen kann, dass diese Situation nur mäßig oder gar nicht bedrohlich ist, wird im Krankheitsfall diesen Momenten erfahrungsgemäß gelassener gegenüberstehen.
Sollte das Eingeben von Medikamenten nötig werden, so gibt es häufig Möglichkeiten, diese über das Trinkwasser oder in einem Leckerchen verpackt zu verabreichen, um den Stress einer Zwangseingabe direkt ins Mäulchen zu vermeiden.
Und bei allem gilt: Je angespannter die Situation, desto mehr Ruhe muss vom Halter ausgehen.
Die Fahrt zum Tierarzt an sich ist im übrigen weit weniger mit Stress behaftet, als viele Halter annehmen. In einer auf dem Autorücksitz festgeschnallten Transportbox mit etwas Heu und Wasser überstehen die Tiere den Transport sicher und gut, wenn auf eine übermäßige Radiolautstärke verzichtet und auf kühle Temperaturen im Fahrzeuginneren geachtet wird.
Andauernder Stress zeigt beim Chinchilla ebenso wie beim Menschen negative Auswirkungen auf die Gesundheit.
Ein Tier, das schlecht frisst und infolge dessen Verdauungsstörungen entwickelt, hat nicht zwingend ein Akzeptanzproblem beim Futter.
Es kann sich hierbei auch um eine Folgeerscheinung von Stress handeln.
Auch unruhig schlafende Tiere, die häufig wach sind, Warnrufe abgeben, am Käfiggitter rütteln oder deren Allgemeinbefinden gestört ist, können unter Stresserscheinungen leiden, die zu ernsthaften Erkrankungen, nicht zuletzt in Form von Verhaltensstörungen, führen können.
Eine davon ist Fellfressen (so es nicht aufgrund von Nährstoffmangel geschieht).
Auffällige Tiere sollten schon im Frühstadium der Erkrankung dem Tierarzt vorgestellt werden. Genauso wichtig wie das Behandeln der Erkrankung an sich ist die Bekämpfung der Ursache, d. h. das Auffinden und vor allem Abschalten der Stressfaktoren, da das Tier sonst unweigerlich erneut erkrankt.
Chinchillas sind allerdings keine gläsernen Zeitgenossen, die nur ein dicker Watteüberzug vor dem Zerbrechen schützen kann.
Das Befolgen der genannten einfachen Grundregeln beschert dem Tier ein weitgehend stressfreies Leben.
Der Umgang mit dem Tier in Form von zwanglosem Anfassen, Streicheln oder Hochnehmen stellt keine Stressquelle dar, wenn die Tiere daran gewöhnt sind.
Ebenso sind Autofahrten unter genannten Bedingungen weit weniger stressbehaftet als vielfach vermutet. Notwendige Tierarztbesuche dürfen auf keinen Fall aus Angst vor Stress vermieden werden.
Und in welchem Maße ein Tierarztbesuch ein Chinchilla stresst, liegt auch in den Händen des Halters und Tierarztes. Geduld und Ruhe sind hier die wichtigsten Grundregeln.
Auch die immer wiederkehrenden bekannten Geräusche des Alltags können Chinchillas von tatsächlichen Gefahrenmomenten unterscheiden.
Problematisch und daher zu vermeiden sind dagegen all solche Faktoren, die den sensiblen Biorhythmus der Tiere stören oder das Lebensumfeld so verändern, dass die Gesundheit der Tiere unmittelbar bedroht ist.